Mario Tamponi Zurück
Ostern in uns Das Wunder des Lebens Das christliche Osterfest verkörpert und artikuliert den Sinn des Lebens wie keine andere Philosophie oder Religion. Das biblische Geschehen enttäuscht alle mythischen Erwartungen unserer Vorstellungswelt. So wie sich der Tod Christi in der Extremform des Leidens, der Demütigung, ja des Verlassenseins von Freunden und von Gott vollzieht, hat auch seine Auferstehung nichts Spektakuläres an sich. Die Evangelien beschreiben sie uns nicht als kosmisches Ereignis strahlender Verklärung, sondern als leeres Grab, Zeugnis von Engeln in menschlicher Gestalt, Erfahrung persönlicher – intimer und verborgener – Verwunderung; man denke an die suggestiven, aber ganz alltäglichen Szenen der stufenweisen Offenbarung vor den Jüngern von Emmaus oder vor den Aposteln, die nach dem Schock von Golgota zu ihrer alten Tätigkeit als Fischer zurückgekehrt waren. Tatsächlich hätte die Auferstehung, wenn sie ihren Ausdruck in einer direkten Vision des großen Wunders seitens einiger oder vieler Auserwählter gefunden hätte, nicht unbedingt eine größere religiöse Gewissheit bedeutet. Man hätte sie immer als kollektive Verblendung abstreiten können; und auf dieser Ebene hätten die Nachkommen eine nicht mögliche historische und wissenschaftliche Verifizierung benötigt. Eine spektakuläre Version wäre eher im Einklang mit politischen Kategorien als mit denen des Glaubens gewesen, der in einem persönlichen Bereich wächst, im Herzen der Existenz reift und alle – unmittelbare und mittelbare Zeugen, Zeitgenossen und Nachfahren – in die gleiche Lage der Akzeptanz oder der Ablehnung versetzen muss. „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht“ (Lukas 16, 31), erwidert Jesus im Gleichnis vom reichen Mann – als wolle er zu verstehen geben, dass ein physisches Wunder nicht notwendigerweise Glaube erzeugt. Der Glaube an die Auferstehung Christi, als der unsrigen vorausgehend, erwächst aus dem Verständnis der christichen Botschaft insgesamt, aus der göttlichen Logik, wie sie in der Bergpredigt zum Ausdruck kommt: Unser Schicksal basiert das Glück unseres Seins nicht auf Besitz oder weltlicher Herrschaft, sondern auf Armut, die im Tod kulminiert. „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Matthäus 5, 3). Auch in der Chronik der Evangelien ist es nicht die Fülle an Wundertaten, die den Glauben der Jünger Jesu bestimmen. Selbst „Mein Herr und mein Gott!“, der Ausruf von Thomas im Angesicht des Auferstandenen, ist zwar sicherlich ein Nachgeben gegenüber der körperlichen Evidenz, mehr aber noch ist es eine Geste der Liebe, die weit über die empirische Verifizierung hinausreicht. Die Generation von Jesus verlangt – wie die unsrige – nach Wundern; selbst die Pharisäer am Berg von Golgota verlangen in höhnischem Ton danach: „Er soll vom Kreuz herabsteigen, dann werden wir an ihn glauben!“ (Matthäus 27, 42). Aber Jesus ist kein Zauberer, der willens wäre, verschwenderisch Zeichen zu verteilen, um Ängste, Neugierde oder Nützlichkeitserwartungen zu stillen. Lazarus erweckt er zum Leben als Freund, der „weint“ (Johannes 11, 35). Als er „in ganz Galiläa“ umherzieht, um „das Evangelium vom Reich zu verkünden“, „heilte er im Volk alle Krankheiten und Leiden“ (Matthäus 4, 23): manchmal aus Notwendigkeit, manchmal aus Mitgefühl! Und oft verlangt er äußerste Verschwiegenheit. Dem vom Aussatz Geheilten befiehlt er: „Nimm dich in acht, erzähl niemand davon!“ (Matthäus 8, 4) und den beiden geheilten Blinden: „Nehmt euch in acht! Niemand darf es erfahren.“ (Matthäus 9, 30). Ja, in bestimmten Fällen vermag das physische Wunder sogar abzulenken vom Wunder des Lebens, das sich im Glauben verkörpert – so wie Reichtum (als Abhängigkeit von Dingen oder einfach als Überfluss an Gütern oder Macht) vom wahren Glück ablenken kann. „Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen“ (Matthäus 19, 23). Der echte, tiefe Glaube ist nicht Neugierde oder irdische Verwunderung: Nein, er ist „ein empörendes Ärgernis“, „eine Torheit“ (1 Kor. 1, 23), Verstehen und Annehmen des gekreuzigten Christus. Er ist keine Verherrlichung des Triumphs, wie es der Logik der Macht entspräche, sondern folgt mit der Akzeptanz der Niederlage, die neues Leben gebiert, der dieser Logik entgegengesetzten „Weisheit Gottes“. Denn sonst... Gibt es nicht bereits die Galaxien, die Weltmeere, die unzähligen Wunder des Lebens? Und doch ist es alltägliche Erfahrung, dass selbst dieses kosmische, vielfältige, permanente Wunder allein nicht ausreicht, damit der Mensch in Anbetung niederkniet, das eigene Leben dem Unendlichen, Erhabenen, das ihn überragt und hält, unterstellt. Ist es etwa nicht in Gegenwart des sternenübersäten Himmels und der unerschöpflichen Faszination der Natur, dass der Mensch unbeirrt seine Egoismen entfaltet, seine eigenen lächerlichen Interessen kultiviert, ja diese sogar mit Überheblichkeit und Gewalt schützt und dabei der Illusion erliegt, er selbst sei absolut und ewig?! Und dabei verbannt er den Tod, obwohl ihm dieser, verstanden als Teil des Lebens, doch helfen könnte, die eigene Verwandtschaft zu jener Feldblume zu verstehen, die heute erblüht und schon morgen die Spuren ihres Daseins selbst zerstreut. Das eigentliche Wunder ist gerade die Wahrnehmung des Absoluten in der Zerbrechlichkeit des Lebens; Tod und Auferstehung sind es, die ein Licht werfen auf den Schmerz und diesen, wenn man ihn akzeptiert, dazu befähigen, uns Größe zu verleihen. Aber die elementare Weisheit vom „Weizenkorn, das keine Frucht trägt, wenn es nicht vergeht“, erreicht die „Weisen und Klugen“ nicht, sondern wird den „Unmündigen“ offenbart: Für dieses Paradox preist Jesus den „Vater, Herr des Himmels und der Erde“ (Matthäus 11, 25). Den Schriftgelehrten und Pharisäern, die ein Wunder von ihm erwarten, entgegnet er: „Diese böse und treulose Generation fordert ein Zeichen, aber es wird ihr kein anderes gegeben werden als das Zeichen des Propheten Jona“ (Matthäus 12, 38-39). Es ist das Zeichen von Ostern, das jedoch den Einfachen vorbehalten, den Hochmütigen dagegen unzugänglich bleibt – d.h. jedem von uns, der glaubt, sein Schicksal der Wissenschaft oder dem weltlichen Wissen anvertrauen oder da Zugang zum Glauben finden zu können, wo es eigentlich, natürlich im Verborgenen, um Macht oder Prestige geht. In der Tat kommt es den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überhaupt nicht in den Sinn, nach der Bedeutung des leeren Grabs von Christus zu fragen; was sie beschäftigt, sind lediglich die politischen Auswirkungen, weshalb sie den Soldaten gegen Geld befehlen, eine bequemere Version zu verbreiten: „Seine Jünger sind bei Nacht gekommen und haben ihn gestohlen“ (Matthäus 28, 13-15). Aber weder die Jünger noch Jesus selbst denken daran, dieses Gerücht durch ein Wunder oder ähnliches zu widerlegen: Denn der Glaube, auch der kollektive, folgt einer anderen Logik als dem rationalen Nachweis oder der verbalen Dialektik. Der Glaube an die Auferstehung festigt sich bei den Jüngern innerhalb weniger Tage dank der leisen Präsenz von Jesus; und die „Macht“ des Auferstandenen findet ihren Ausdruck weniger in Bezeugungen der Zufriedenheit über das Erreichte als in einem mühevollen und anstrengenden Auftrag: „Darum geht zu den Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Matthäus 28, 18-20). Sie sonnen sich also nicht im Ruhm dessen, der sich schon für sie geopfert hat; vielmehr müssen sie sich der harten Forderung unterwerfen, den gleichen Weg zu gehen, wenn auch sie zur Verklärung gelangen wollen. „Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. – Das sagte Jesus (zu Petrus, einem der Auserwählten), um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde.“ (Johannes 21, 18-19). All das wird verständlicher, wenn wir Schmerz und Treue, Tod und Auferstehung nicht als zeitliche und räumliche Folge wahrnehmen, sondern als Kategorien des einzigartigen Abenteuers unseres Daseins. Mario Tamponi